Vergessen

Das Gehirn ist schon ein faszinierendes Organ. Mal abgesehen davon, dass dieses glibberige Fleischteil ziemlich viele Prozesse in unserem restlichen Körper steuert, ist es auch der Ort an dem unsere Gedanken entstehen, gespeichert und weitergeleitet werden. Und genau um dieses speichern geht es mir gerade, denn ich räume meinen Laptop auf, was bedeutet ich sortiere endlich meine gefühlt 500 Tausend Dokumente, und um zukünftig zu wissen, was in einer solchen Textdatei steht, lese ich und passe die Dateinamen an, denn ganz ehrlich 'Kurzgeschichte' und 'Unbenannt55' ist da wirklich nicht hilfreich. Ich habe diesen Laptop seit 2014, und habe jetzt schon mindestens zwei Dateien gefunden, deren Inhalt mir komplett fremd war. Ich war bei dem ersten sogar der Meinung ich hätte mir den Text von irgendwo kopiert, weil ich ihn so gut fand, bis ich zu bestimmten Formulierungen kam und feststellte, dass ich das geschrieben habe. Ich kann mich nicht daran erinnern schon damals so gedacht zu haben, und als ich dann auf die zweite Datei traf, freute ich mich sehr, das aufgeschrieben zu haben, denn es war die Antwort auf die Frage, wie ich einen damals sehr guten Freund kennengelernt habe. Hätte man mich das gestern gefragt, hätte ich mich nicht erinnern können, zumindest an einen bestimmten Teil nicht, und ich find es ziemlich cool das jetzt wieder zu wissen. Mit dem lesen dieser Worte, kamen auch die Erinnerungen zurück, jene, die über das beschriebene hinaus reichten. Aber es lässt bei mir auch die Frage aufkommen, wie viele Dinge ich wohl schon vergessen habe. Nicht die banalen Dinge, wie, dass ich mit 14 in Florian verliebt war, sondern Details, die mir damals wichtig waren. Ich bin froh, dass ich schon seit meinem 12. Lebensjahr ziemlich viel schriftlich festhalte, aber es birgt auch Gefahren. Denn ich schreibe ganz sicher nicht alles auf, sondern nur High- & vor allem Low-lights. Ich habe mir oft vorgenommen ein Tagebuch zu führen, also ein richtiges, in dem dann auch so Einträge drin stehen wie 'Heute habe ich den ganzen Tag im Bett gelegen und gelesen, zum Mittagessen gab es Nudeln, und mir ist beim anziehen ein Nagel abgebrochen', das ist an sich nicht wichtig, aber es würde die Realität dokumentieren. Vielleicht ist das kein Tag, der irgendwie relevant für mein weiteres Leben ist, vielleicht passiert an diesem Tag nichts, woran ich mich wirklich erinnern muss, aber wenn ich jetzt in der Vergangenheit blättere, wirkt es als wäre mein Leben ganz schrecklich gewesen. Ich habe fast ausschließlich dann gebloggt oder geschrieben, wenn es mir schlecht ging, wenn ich Gedanken ordnen musste. Das ist zwar interessant, weil mir gerade dabei häufig ziemlich gute und wichtige Gedanken kamen, aber wo bleibt das Glück? Letztens wurde ich auf ask.fm nach meiner glücklichsten Erinnerung gefragt, natürlich gibt es dieses Superlativ bei mir nicht, aber mir fiel eine Gegebenheit von vor einigen Jahren ein, und mit diesem Ereignis auch direkt ziemlich viele andere, an die ich wirklich lange nicht mehr gedacht habe. Ich erinnere mich genau an die negativen Dinge, wenn man mich fragen würde, was die schlimmsten Dinge waren, die mir passiert sind, hätte ich sofort eine sehr präzise Antwort, aber bei positivem...? Eher schwammig, und mit viel nachdenken. Ist es nicht traurig, dass negative Ereignisse so viel mehr Einfluss auf unser Leben zu haben scheinen, als die positiven?
Mir ist klar, dass wir uns nicht alles merken können, dass wir Dinge vergessen 'müssen' um Platz für neues zu haben, obwohl unser Gehirn vermutlich die Kapazitäten hätte sich alles zu merken, bräuchte es wohl doch sehr viel Training all das jederzeit verfügbar zu machen. Und trotzdem macht es mich irgendwie traurig. Letztendlich lebe ich so viele Jahre, und erinnere mich am Ende nur an einen winzigen Bruchteil des ganzen. Ich werde Menschen vergessen, Ereignisse, Momente in denen ich sehr glücklich war.
Das wird mir vor allem bewusst, wenn ich meine Eltern sehe. Sie waren mal jung, sie haben Beziehungen geführt, Leute getroffen, gelacht, geweint, gestritten, es gab eine Zeit in der sie einander noch nicht kannten, in der andere Menschen sehr, sehr wichtig für sie waren. Aber dann wurden sie ein Paar, und jetzt leben sie Seite an Seite und das schon länger als ich überhaupt lebe. Es gibt noch einige Jugendfreunde, die immer noch regelmäßig vorbei kommen, ich kenne einige Geschichten, von Früher, aber ich kann mir gar nicht ausmalen wie viel sie vergessen haben. Es ist einfach nicht mehr wichtig, würde mein Dad jetzt sagen, ist ja Vergangenheit, und damit hat er selbstverständlich Recht. Letztendlich sind meine Gefühle bezüglich des Vergessens vermutlich nur Ausdruck einer sehr tief verwurzelten Verlustangst. Ich will keine glücklichen Momente verlieren, noch nicht einmal zugunsten Neuer.

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