Die Frage, die ich in den letzten 6 Monaten wohl am häufigsten gehört habe, ist: Und was machst du jetzt so? Egal ob von Bekannten, Fremden, oder Familie: alle scheinen sich brennend dafür zu interessieren. Ja, natürlich, es gehört ja auch zu dem Smalltalk Fragenkatalog: Wie gehts dir? was machst du so? Alles okay?
Und meine Antwort auf die Frage hat sich von 'ich weiß noch nicht genau' zu einem trotzigen 'nichts!' gewandelt. Natürlich stimmt das so nicht, ich mache nicht Nichts. Ich zeichne und mache Musik, und ich schreibe. Aber die Frage bezieht sich mehr auf 'womit verdienst du dein Geld?' und ja, da ist 'nichts' momentan die korrekte Antwort. 'Warum?' fragen darauf hin die wenigsten, viel häufiger heißt es 'mach doch erstmal ne Ausbildung und schau dann weiter'. Zu sagen, dass ich das nicht will spare ich mir dann meist und versuche mit einem 'mal schauen' das Gespräch zu beenden. Doch das 'WARUM?' ist so wichtig.
Also, warum mache ich ''nichts''?
Fangen wir mal mit meinem Lebenslauf an:
Abschluss der 6. Klasse mit einem Notendurchschnitt von 1,6
'' Jane zeigte während der gesamten Grundschulzeit gute bis sehr gute Leistungen. Sie war wissbegierig und verfügte über eine hohe Aufmerksamkeit. Ihre Denkleistungen sind gut entwickelt, sodass sie mühelos Zusammenhänge erkennen kann. Janes gute, intellektuelle Lernvorraussetzungen bilden die fundierte Grundlage für eine erfolgreiche Lerntätigkeit.
Jane fand bei ihren Mitschülern Beachtung, da sie sehr zuverlässig und verantwortungsbewusst handelte. In der Gruppenarbeit war sie ein toleranter Partner und brachte sachbezogene Beiträge in das Unterrichtsgeschehen ein. Eigenverantwortlich und zuverlässig übernahm die Aufgaben für die Gemeinschaft. Von allen Mitschülern wurde sie aufgrund ihrer zuvorkommenden Art geschätzt.'' - meine Eintrittskarte fürs Gymnasium. Vielleicht wäre noch zu erwähnen, dass ich sowas wie ein 'Mathegenie' war und auch im Begabtenförderungsprogramm. Ich durfte im Mathematikunterricht immer Extraaufgaben lösen, weil die 'normalen' viel zu leicht für mich waren.
Dort konnte ich die Leistungen natürlich nicht so halten, wie zuvor an der Grundschule, trotzdem war ich gutes Mittelfeld.
7.Klasse: 2,0
8.Klasse: 2,1
9.Klasse: 2,3
10. Klasse: 2,8
damit hatte ich den Realschulabschluss / die Fachoberschulreife. Doch ich hab nicht einmal in Erwägung gezogen die Schule zu verlassen. Ich wollte das Abitur. Um mir alle Wege offen zu halten.
Doch die Schule bekam mir nicht mehr. Der Stress wurde immer stärker, und mit den Notenpunkten anstelle der tatsächlichen Noten nahmen auch die Fehlstunden zu. Waren es im ersten Halbjahr der 11. Klasse gerade einmal 8 wurden im zweiten 46 daraus. Nie unentschuldigt, denn ich war nicht einfach nur gestresst sondern mein Körper dachte sich immer neue Wege aus diesen Stress in etwas körperliches zu verwandeln.
Und spätestens in dem Moment in welchem der Mathematikunterricht überwiegend aus Buchstaben zu bestehen begann, war es in diesem Fach vorbei mit meinen guten Leistungen.
Das letzte Halbjahr meiner Schulkarriere zeigte: eine Eins (Musik), zweimal die Note 2+ (Pädagogik & Russisch), einmal eine glatte 2 (Englisch), dreimal 2- (Deutsch, Biologie, Geschichte), eine 3 in Sport und eine 3- in Informatik & Chemie. Keine vier und eine 5+ in Mathematik. damit durfte ich an den Prüfungen teilnehmen, die ich mit der Aussicht auf 'Freiheit' bestand [Deutsch 3- (07), Englisch 2 (11), Biologie 3 (08) und Pädagogik 1- (13)] Damit stand meine Abiturnote fest: 2,5
Ich möchte mich an der Stelle eher ungern über das Bildungssystem auslassen, aber wäre ich nicht gezwungen gewesen naturwissenschaftliche Fächer zu belegen und hätte dafür die Möglichkeit gehabt sowohl Kunst, als auch Musik zu belegen, wäre es vielleicht besser gelaufen. Auch der Mathekurs auf erhöhtem Anforderungsniveau (ähnlich Leistungskurs) war wohl nicht so die beste Lösung für mich. Aber es gab keine Alternative. Hätte ich (mal abgesehen von den Abiturprüfungen) auch mal eingesehen zu lernen, wäre es womöglich auch noch ein bisschen anders gelaufen, aber ich war nie ein Fan davon Wissen in mich hinein zu prügeln. Zusammenhänge verstehen und anwenden: Ja. Fakten und Daten auswendig lernen: Nö. Das was mich interessiert hat ist auch hängen geblieben und den Rest fand ich unwichtig.
Da stand ich nun also, als erste unserer Familie mit Abitur und jetzt? Ich war mir sicher: Ich will soziale Arbeit studieren! Aber wo? Und wollte ich wirklich sofort in das nächste 'Klassenzimmer'? Die Schule war vorbei, plötzlich alles anders. 12 Jahre lang jeden Tag das selbe, und ich musste nie darüber nachdenken, wie es weiter geht. Und jetzt plötzlich sooo viele Möglichkeiten. Ich verpasste die Fristen für den Studienbeginn im Herbst und entschied mich für den Bundesfreiwilligendienst. Ich wollte erstmal etwas praktisches tun, nicht gleich weiter lernen. Ich landete in einem Jugendzentrum in Berlin, wo ich ein halbes Jahr verbrachte bevor auch hier der Stress zu groß wurde. täglich 3h im Zug verbringen um dorthin zu pendeln, nur noch schlafen und essen, und dann wieder zur Arbeit. Dazu kam noch, dass ich mich überhaupt nicht mit meiner Chefin, und viel zu gut mit den anderen Jugendlichen verstand. (Stichwort 'professionelle Distanz'? Fehlanzeige) Meine Gesundheit war auch nicht mehr wirklich anwesend. Ich verbrachte einen Monat fast nur bei Ärzten oder im Bett. Bauchschmerzen und die Übelkeit war kaum noch zu steigern.
Trotzdem habe ich mich über ein paar Studiengänge informiert und mich entschieden:
ich würde Erziehungswissenschaften, Ethik & Literaturwissenschaft studieren. Ich bewarb mich nur an zwei Unis und die zweite war auch mehr so die Notlösung, die ich höchstwahrscheinlich nicht einmal angenommen hätte. Doch es kam sowieso eine Absage von dort, und schließlich eine Zusage von meiner 'Traum-uni'. Ich hatte einen Plan, und damit lies der Stress nach, und es ging mir auch körperlich wieder etwas besser. Ich zog in meine eigene Wohnung, 500km entfernt von meiner Heimat. Und begann das Studium. In einer fremden Stadt, ohne soziale Kontakte. Das änderte sich jedoch nach kurzem. Ich fand einen Vertrauten. Doch ich begann auch viel über mein Leben und meine Zukunft nachzudenken.
Meine Familie fehlte mir, und das Bewusstsein, dass das Leben ständige Veränderung bedeutet und genauso auch jeden Moment vorbei sein könnte, machte mir zu schaffen.
Die Gesundheit ging wieder den Bach hinunter, sodass ich schlussendlich kaum noch das Haus verließ. Anfangs versuchte ich noch den Stoff aus der Uni zuhause nachzuarbeiten, doch mir war klar, dass ich die Prüfungen nicht schreiben würde.
Ich verbrachte noch viel mehr Zeit damit über alles nachzudenken und kam zu dem Ergebnis, dass die Zukunft die ich vor mir habe, nicht die ist, die ich mir wünsche.
Das Leben ist zu geplant. Kindergarten, Schule, Ausbildung/Studium, Arbeiten, Familie, Rente.. irgendwo dazwischen dann 'leben'.. in den Ferien, im Urlaub, an den Wochenenden, oder eben in der Rente. Und nebenbei leidet die Gesundheit unter dem ständigen Stress. Mag sein, dass das mein Fehler ist, dass ich einfach lernen muss besser mit Stress umzugehen, aber das ist nicht das was ich mir für die restlichen Jahre vorstelle, die ich auf dieser Erde verbringe.
Es ist mir wichtig darüber nachzudenken, was ich vom Leben möchte, denn auch wenn es mir oft so vorkommt, als wäre alles vorbestimmt, und müsse genau nach diesem Schema ablaufen, ist das nicht die Wahrheit.
Ich wurde geboren, und ich werde sterben. Das sind die Fakten. Aber was dazwischen passiert, das ist doch meine Entscheidung. Ich muss aufhören mir etwas von der Gesellschaft aufzwingen zu lassen.
Ich für meinen Teil habe das beschlossen. Ich bin ein Träumer, weil ich glaube das Leben ist mehr, als die Stunden zwischen der Arbeit.
Und ich will nicht wegziehen, um einen Job zu finden, oder eine Ausbildung zu machen, weil meine Eltern vielleicht tot sind wenn ich irgendwann zurück komme. Natürlich, man muss erwachsen werden, und sich von den Eltern lösen um auf eigenen Beinen zu stehen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, aber wer schreibt mir das denn vor?
Wenn ich diese Menschen wichtig finde und Zeit mit ihnen verbringen möchte, bevor ich keine Gelegenheit mehr dazu habe, warum sollte das dann falsch sein?
Warum soll ich weggehen, wenn ich ganz genau weiß, dass ich es bereuen würde im Nachhinein?
Vielleicht ändert sich das irgendwann, vielleicht entscheide ich mich irgendwann, dass ich Zeit für mich brauche, dann werde ich gehen. Aber jetzt ist es nicht soweit. Jetzt gerade will ich genau hier sein.
Und ich möchte keinen Job haben, damit ich Geld habe. Weil sich das einfach falsch anfühlt. Ich will Geld mit dem verdienen was ich liebe. Ich möchte entscheiden, wann ich arbeite und ob, und was. Ich habe ein riesengroßes Glück, dass meine Eltern mich bei ihnen wohnen lassen, und mir ermöglichen etwas aufzubauen. Und wenn es nicht funktioniert, tja dann muss ich mir was neues einfallen lassen. Aber jetzt gerade fühlt es sich richtig an, und es geht mir wieder besser.
Ich glaube nicht dass ich allein mit diesem Denken bin. Wenn ich mich umschaue ist doch kaum jemand zufrieden mit seinem Leben. Es geht nur darum Geld zu verdienen. Niemand traut sich zu sagen 'jetzt ist Schluss'. Alle machen weiter so wie es ist, weil es ja auch viel schlechter sein könnte.
Aber ich will nicht so enden.
Ich möchte nur das tun, was ich mit Überzeugung mache. Und ich möchte mein Dasein mit Überzeugung Leben nennen.
Ich glaube nicht an Wiedergeburt. Ich glaube daran, dass wir die Lebensjahre haben, die wir eben haben. Vielleicht 20, vielleicht 80 oder irgendwas dazwischen, oder darüber hinaus.
Ich möchte niemals sagen 'Ich hätte jetzt so gern Urlaub'. Ich will ein Leben von dem ich keinen Urlaub brauche. Ich will nicht jeden Tag zu einer Arbeitsstelle fahren und mir von irgendjemandem sagen lassen was ich tun muss, damit er mir Geld gibt.
Und wenn sich irgendwann herausstellt, dass das nicht möglich ist. Dass ich dieses Leben nicht erreichen kann. Dann werde ich nicht mit eingezogenem Schwanz an der Lidl-kasse sitzen, sondern kein Teil dieser Erde mehr sein. Denn bevor ich 20 Jahre oder mehr einen identischen Tag immer wieder aufs Neue wiederhole möchte ich lieber noch einen einzigen außergwöhnlichen erleben und dann weg sein.
Und genau das sind die Gründe, warum ich weder studiere, noch eine Ausbildung mache, noch sonst irgendetwas, das mir gerade Geld bringt.