Vor genau einem Monat, am Frauentag, habe ich meine Haare auf 3mm abrasiert (siehe
hier) Ich möchte nun mal kurz ein erstes Fazit geben und erzählen, was in der Zeit so passiert ist.
Der Griff zum Rasierer war keineswegs eine spontane Entscheidung, zu meinen Gründen und der Frage Warum werde ich in den nächsten Tagen noch mal separat etwas schreiben, ich beginne hier in dem Moment indem die Schere die ersten Strähnen durchtrennt hat.
Zu sagen, ich war nicht aufgeregt wäre gelogen, Aber in erster Linie war ich euphorisch. Zunächst schnitt ich die Haare mit der Friseurschere so kurz wie möglich, um dem elektrischen Rasierer die Arbeit zu erleichtern, ich hatte nämlich nur so ein Billigteil zur Verfügung, was man später auch gemerkt hat (es hat locker eine Stunde gedauert die Haare alle abzurasieren)Als ich dann den großen 'Stapel' Haare vor mir liegen hatte, war das schon ziemlich cool, und nach dem ewig langen Prozess der Rasur (mit einigen Schwierigkeiten), stand ich einige Minuten grinsend vor dem Spiegel.
Dann hörte ich aber auch schon meine Mum nach Hause kommen. Ich rief ihr zu, sie solle sich hinsetzen und die Augen schließen, was sie auch tat. Ich bat sie die Hand auszustrecken, und stupste dann so vorsichtig, wie eine Katze dagegen. Sie grinste und öffnete die Augen. Ein bisschen schockiert sah sie ja schon aus, aber nach ca. 10 Minuten hatte sie sich dran gewöhnt, meinte dass ich mich da ja echt was getraut hätte und half mir den Nacken noch auszurasieren, und die restlichen Haare aus dem Bad aufzusammeln, bzw. wegzuwischen.
Die zweite Person der ich von der Aktion erzählte war mein bester Freund, bzw schickte ich ihm ein Foto von den Abgeschnittenen Haaren. Seine Nachricht darauf:
''Ganz ab? Zeig!'' und das tat ich. Daraufhin kam ein 'Krass! Das ist echt ne Verwandlung! Aber es steht dir. Ich will dir nur gerade über die Stoppeln streicheln". So ähnlich waren auch alle anderen Reaktionen die noch folgten. Meine beste Freundin sagte, dass es meine Augen betonte, und Leute mit denen ich nichts oder nur noch wenig zutun hatte schrieben mir, wie hübsch es aussähe und wie mutig oder krass sie diese Entscheidung finden würden. Vor Allem auf Instagram kamen einige Nachrichten, mit denen ich nicht gerechnet hätte. Die Resonanz war durchgehend positiv, was mich zugegebenermaßen sehr überraschte.
Es gab natürlich auch eine Ausnahme, die Person konnte sich so gar nicht an den Anblick gewöhnen und betonte immer wieder wie schrecklich sie es fände. Bei Begegnungen, vermied sie es sogar mich anzuschauen.
Noch am selben Tag an dem die Haare weichen mussten ging ich mit meiner Mum in den nächsten Supermarkt. Wichtig ist hier: wir leben in einer Kleinstadt, man kennt die Verkäufer*innen und meist auch mindestens eine weitere Person im Laden. So auch an diesem Tag. Als wir an der Kasse standen und die Mitarbeiterin uns zur Kenntnis nahm kam ein mehr oder weniger schockiertes 'nee oder?', ich grinste sie an und erwiderte 'doch'. Im weiteren Gesprächsverlauf mischte sich der Kunde vor uns ein und meinte, dass es mal etwas anderes wäre und kurze Haare ja wirklich praktisch seien, dabei zeigte er auf seinen eigenen Kopf. Die Kassierin meinte nur noch, dass sie es total schade um meine schönen Haare fände, sagte aber sonst nicht mehr viel.
Nach Verlassen des Supermarktes fühlte ich mich ziemlich gut. Ich war glücklich mit meiner Entscheidung.
Doch ja, Ãœberraschung, das blieb nicht so.
Ich wünschte ich könnte behaupten ich wäre seit diesem Tag quasi durchgehend glücklich mit meiner Entscheidung gewesen und bei jedem Blick in den Spiegel hätte ich gegrinst, aber das stimmt nicht. Es ist und bleibt eine große Veränderung.
Anders als bei früheren Haarexperimenten, hatte ich diesmal nicht das Problem, bei jedem Blick in den Spiegel einen Moment zu brauchen um zu realisieren,dass ich das war. Ich war mir meines Anblicks zu jedem Zeitpunkt bewusst.
Das erste Mal, dass ich mich nicht wohl damit fühlte war, als ich zu einer Feier mit lauter fremden Menschen fuhr. Haare machen einen Unterschied, sowohl in Bezug auf Kleidung als auch in Bezug auf Makeup. In meinen normalen Outfits, mit dem Makeup, das ich diesem Anlass angemessen empfand fühlte ich mich extrem unwohl. Ich fühlte mich unattraktiv und unsicher. Aber ich zwang mich dennoch zu dieser Party zu gehen. Auch dort kamen durchweg positive Rückmeldungen. Eine Person starrte mich den ganzen Abend an, und entschuldigte sich irgendwann und meinte, dass ich einfach so schön sei, dass sie nicht anders konnte. Eine andere Person, die mich schon einmal vorher mit langen Haaren gesehen hatte, meinte ich würde nun viel selbstsicherer wirken. Doch ich war nicht sicher. Wenn ich im Bad in den Spiegel schaute, fand ich mich schrecklich.
Ich fühlte mich in der Kleidung unwohl, ich fand das Makeup zu überladen ohne die Haare, die mein Gesicht ein Stück weit verbargen.
Trotzdem war ich am Ende des Abends nicht mehr ganz so schüchtern wie zu Beginn. Zumindest konnte ich mich unterhalten. Dieser Abend war der bisherige Tiefpunkt. Von da an wurde es rapide besser.
Ich verstand in welcher Kleidung ich mich noch wohl und hübsch fühlte, ich verstand auch, wie ich mein Makeup gestalten konnte um mich nicht unattraktiv zu fühlen (weniger ist tatsächlich mehr) und ich lernte mein Gesicht besser kennen. Oh und ja, natürlich wuchsen meine Haare auch.
Ich glaube seit meine Haare weg sind lächle ich häufiger und wirke anderen Menschen gegenüber fröhlicher, und glücklicher. Und ich glaube ich bin es auch.
Ich lerne mich selbst kennen. Meine Kopfform zum Beispiel, und mein abstehendes Ohr, ich weiß jetzt, dass ich eine kahle Stelle an meinem Hinterkopf habe, und einen Wirbel auf der anderen Seite. Ich weiß auch, dass meine Haare ziemlich schnell wachsen. Und all das sind Erkenntnisse die ich ohne die Entscheidung meine Haare abzurasieren nicht erlangt hätte.
Jetzt wo sie schon wieder bestimmt 1,5 cm lang sind, fühle ich mich die meiste Zeit wohl damit. Ich mag wie sie sich anfühlen, und ich mag wie ich damit aussehe. Wenn ich weggehe strahle ich mehr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein aus als ich es vorher getan habe.
Es ist immer noch ungewohnt. Es ist seltsam nicht mehr ständig einen Zopfgummi ums Handgelenk zu tragen, und es ist seltsam, dass ich immer noch manchmal meinen 'Pony' nach hinten streichen will und dann nur über kurze Stoppeln streichle. Mittlerweile bin ich wirklich zufrieden damit. Nach einem Monat kann ich sagen: Ich bin wirklich froh diese Entscheidung getroffen zu haben!